Begegnungen

Léa Bigot

Montag 8 Februar 2021

Léa Bigot hat uns in ihr Marseiller Atelier eingeladen. Ein Treffen mit einer vielseitigen Künstlerin.

      KÖNNTEST DU EIN PAAR WORTE ZU DEINEM WERDEGANG SAGEN?
      Ich bin auf Réunion geboren, wo ich bis zu meinem siebzehnten Lebensjahr lebte. Dann verließ ich meine Familie und zog nach Paris, wo ich zehn Jahre lang blieb. Ich schloss mein Studium ab und arbeitete anschließend im Grafikdesign und im Verlagswesen. Ich begann damals ein echte Leidenschaft für Kunst und Design des 20. Jahrhunderts zu entwickeln und verspürte ein wachsendes Interesse für die räumliche Darstellung. Neben dem Grafikdesign gründete ich zusammen mit meiner Freundin Sarah Espeute das Künstlerteam „Klima Intérieurs“. Wir haben in diesem Rahmen 4 Jahre lang gemeinsam unsere Vision vom Objekt und seinem Platz in unserem Alltag und in unseren Innenräumen herausgearbeitet. Vor zwei Jahren zog ich nach Marseille, wo ich mit der Sonne, dem Meer und den Klippen eine mir vertraute Umgebung wiederfand. Diese wiedergefundene Verbindung mit der Natur gab mir den Anstoß, meinen persönlichen Weg einzuschlagen und mehr räumlich zu gestalten.
      WIE HAST DU DEINE KÜNSTLERISCHE ADER ENTWICKELT? WAS WAR DER AUSLÖSER DAFÜR?
      Dafür brauchte es kein auslösendes Moment, es war einfach eine Selbstverständlichkeit. In meiner Familie ist jeder künstlerisch tätig. Mein Vater ist Fotograf und hatte sein Fotolabor im Haus. Meine Mutter, eine Lehrerin, gab uns die Möglichkeit, verschiedene Techniken kennenzulernen und auszuprobieren: wir fertigten Collagen an, malten und modellierten! Ich erinnere mich an einen Elefanten aus rotem Steingut, den ich als Kind gemacht habe. Meine heutige Technik ist der von damals sehr ähnlich.
      BEI BETRACHTUNG DEINER WERKE, WIRD DEINE STARKE VERBINDUNG ZU JEAN ARP SPÜRBAR. WAS BEWUNDERST DU AN IHM AM MEISTEN?
      Ich liebe alle Werke von Arp und ich verspüre eine große Bewunderung für die Schönheit seiner persönlichen Welt. Ich liebe seine Formen, die lebendig und vertraut wirken und denen in ihrer Einfachheit Wachstum, Entwicklung und Bewegung innewohnt. Besonders gefällt mir auch der immer wiederkehrende Dialog mit den Kreationen seiner Frau Sophie Tauber-Arp, die ich ebenfalls sehr bewundere. Die Suche nach Schönheit und Ausgewogenheit, die das künstlerische Schaffen dieser Zeit bestimmt, ist für mich ein starker Ausdruck von Freude.
      IN WELCHEN KÜNSTLERISCHEN BEREICHEN BETÄTIGST DU DICH NEBEN DER SCHAFFUNG VON SKULPTUREN NOCH?
      Ich male, zeichne oder fabriziere weiche Linien. Davon bin ich seit einigen Jahren wie besessen. Ich habe das automatische Schreiben eher zufällig entdeckt und es wirkt auf mich wie eine Meditation. Ich mache das sehr häufig und solange bis ich eine Linie gefunden habe, die mir gefällt, die ich aufhebe und die ich mir immer wieder ansehe.
          WAS BEEINFLUSST DEIN KÜNSTLERISCHES SCHAFFEN (KLEINE MACKEN, ANGEWOHNHEITEN...)? WELCHE VERSCHIEDENEN SCHRITTE BEINHALTET ES?
          Ich zeichne und schreibe viel, um mich in eine mehr oder weniger nahe Zukunft zu projizieren. Für eine Skulptur zeichne ich so lange Formen, bis ich eine Dynamik gefunden habe, die mir interessant erscheint und deren Bewegung schließlich die räumliche Gestalt bestimmt. Die Skulptur sieht eigentlich nie wie ihre Zeichnung aus, aber für mich zählt die Dynamik, die Energie, die von ihr ausgeht.
          HAST DU ALS KÜNSTLERIN SCHON EINMAL EINE SCHAFFENSBLOCKADE ERLEBT? WENN JA, WAS HILFT DIR, UM WIEDER KRAFT ZU TANKEN UND INSPIRATION ZU SCHÖPFEN?
          Wenn ich nicht weiterkomme, gehe ich raus. Ich liebe die Nähe zwischen Natur und Stadt hier in Marseille. Ich habe festgestellt, dass ich meine innere Vorstellungskraft in der Natur leichter anregen und ausbauen kann. Ich lasse mich leicht von Gefühlen überwältigen und ein Spaziergang inmitten unberührter Natur scheint mein Gleichgewicht wiederherzustellen. Weit weg vom Lärm der Stadt verstehe ich besser, was mir wirklich gefällt und wer ich bin. So eröffnen sich mir immer wieder neue Perspektiven.
          SPRECHEN WIR MAL ÜBER LOCKDOWNS - WIE HAST DU DIE LETZTEN LOCKDOWNS ERLEBT? WÜRDEST DU SAGEN, DASS SIE EHER EINEN POSITIVEN ODER EHER EINEN EHER NEGATIVEN EINFLUSS AUF DEIN KÜNSTLERISCHES SCHAFFEN HATTEN?
          Der erste Lockdown war für mich ziemlich schwierig. Ich projiziere mich viel in die Zukunft und fühlte mich deshalb wirklich eingesperrt. Dennoch habe ich am Ende dieses Lockdowns meine bevorzugte Töpfertechnik entdeckt. Ich denke, unbewusst hat dieses Innehalten mir ermöglicht, den Weg, den ich einschlagen möchte, klarer zu umreißen.
          WAS VERBINDEST DU MIT DER MARKE SESSÙN?
          Eine sonnige, raue, natürliche und bewegte maritime Landschaft.
              WENN DU DIE ZEIT ZURÜCKDREHEN UND EINEN BESTIMMTEN TAG NOCH EINMAL ERLEBEN KÖNNTEST, WELCHEN WÜRDEST DU WÄHLEN UND WARUM?
              Ich würde gerne eine der entferntesten Erinnerungen meiner Kindheit wieder aufleben lassen. Ein Wettrennen mit meiner Vorschulklasse zu einem Baum, um dessen Frucht, die bis heute noch meine Lieblingsfrucht ist, als Erste zu erreichen. Mein Erwachsenenleben ist stark geprägt von der Freiheit, die ich als Kind empfunden habe. Manchmal, und besonders in den letzten Monaten, habe ich das Gefühl, dass ich durch meine Kunstwerke versuche, wieder an diese absolute Freiheit anzuknüpfen.

              WELCHES BUCH HAT DICH AM MEISTEN GEPRÄGT UND/ODER INSPIRIERT?

              Zurzeit würde ich sagen „L'amant“ von Marguerite Duras. Dieses Buch, das im Rahmen einer Liebesgeschichte die koloniale Gesellschaft der damaligen Zeit darstellt, hat mir sehr gut gefallen. Diese Gesellschaft, die von Brutalität und Ungerechtigkeit geprägt war, war die Gesellschaft meiner Urgroßeltern. Es geht um Leben, die keine Spuren in der offiziellen Geschichtsschreibung hinterlassen haben und über die in der Familie wenig gesprochen wird, die aber dennoch durch die nachkommenden Generationen, die in den Überseegebieten leben, weiterbestehen.

              Hast Du ein bestimmtes Ritual, das Deinen Schaffensprozess im Atelier bestimmt?

              Die Siesta. Mein Arbeitsprozess ist ein ständiger Dialog zwischen meinem Geist und meinem Körper. Der Schlaf ist eine notwendige Voraussetzung für den Wechsel zwischen zwei Zuständen: dem Zustand der Reflexion, einem Moment, in dem ich versuche, mich ganz meiner Wahrnehmung der äußeren Einflüsse zu widmen, und dem Moment der Formgebung, einem Moment, der sehr viel Körpereinsatz erfordert. 

                  Erzähl uns doch ein bisschen etwas über das Stück, das Du Dir im Rahmen Deines Beitrags für die Ausstellung „Floraison Créative" von Sessùn ausgedacht hast und für den Du absolut freie Hand in der Gestaltung und Umsetzung hattest. 

                  In meiner Vorstellung gleicht Magda einem Turm, der wie von selbst zum Licht hin wächst. Aufgrund ihres zusammengesetzten Aufbaus - drei Module, die organisch ineinandergreifen - erinnert sie an ein vertikal gegliedertes Gerüst, das sich nach oben reckt. Eine Hommage an die Sonne und an alle Wesen, die durch sie leben und wachsen.

                  Was nimmst Du aus der Erfahrung dieser freien Auftragsarbeit mit?

                  Eine gewisse Gelassenheit bei der Arbeit. Diese ergibt sich aus dem Vertrauen, das Sessùn in meine Arbeit setzt, und aus der mir dafür gewährten Bedenkzeit. Man hat selten das Glück, sich völlig frei ausdrücken zu dürfen und so wohlwollend aufgenommen zu werden.

                  Vielen Dank an Léa Bigot für diese wertvolle Zeit in ihrem Atelier und gemeinschaftlichem Arbeitsraum Coco Velten!
                   
                  Bildnachweise: Florian Touzet
                  Keramiken: Léa Bigot
                  Schnittmuster aus Filz: Azur World

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