Begegnungen

Nina Koltchitskaia

Donnerstag 16 Juni 2022

Photographies : Raquel Chicheri

Wo immer sie hinkommt, lässt Nina Koltchitskaia einen Hauch von Romantik und Poesie entstehen. Durch ihre Bilder und Outfits, ebenso wie durch ihre zahlreichen Projekte, in denen sie ihre Werke in einen Dialog mit Musik, Lebenskunst und Mode treten lässt. Nun hat Nina gemeinsam mit Sessùn eine feminine und fröhliche Kollektion entworfen, die in limitierter Auflage in einigen ausgewählten Verkaufsstellen erhältlich ist.

Nina, Du lebst heute in Paris, bist als Kind aber viel in der Welt herumgekommen. Erzähl uns etwas über die Beziehung zur Kunst, die Du dadurch entwickelt hast.
Ich bin in Moskau geboren und habe dann in Laos und Mailand gelebt, bevor ich mich nach meinem Abitur in Paris niedergelassen habe. Diese Reisen schufen den Nährboden für meinen künstlerischen Ausdruck. Ich hatte immer Angst, jemanden oder etwas zu vergessen... Also begann ich zu schreiben, zu zeichnen und vor allem zu fotografieren, um alles mitzunehmen - Menschen, Momente, Emotionen, Farben. Ich bin in einer Künstlerfamilie aufgewachsen, sowohl meine Eltern als auch meine Schwester malten. Sie haben mich immer ermutigt, verschiedenste künstlerische Ausdrucksformen auszuprobieren. Ich hatte Glück, in dieser Umgebung aufwachsen zu dürfen.
Was war Dein erstes ästhetisches Schockerlebnis ?
Schwer zu sagen! Eigentlich erlebe ich jeden Tag eins. Ich werde ständig von der Schönheit und der Unermesslichkeit dessen, was mich umgibt überwältigt. Ich kann Stunden damit verbringen, die Dinge um mich herum zu betrachten. Für mich ist das lebenswichtig. Wenn ich das nicht tue, habe ich das Gefühl, nicht genug Luft zu bekommen.
Du hast im Anschluss an Dein Studium der Literatur und der Philosophie mit der Fotografie begonnen. Wie hast Du zu diesem Medium gefunden?
Schon als ich klein war, habe ich ständig alles fotografiert. Ich ahmte meinen Großvater nach, der viele Reisefotos machte. Er lieh mir oft seinen Fotoapparat, den ich später geerbt habe und den ich heute noch benutze. Ich stelle mir gerne vor, dass darin alle seine Erinnerungen enthalten sind.
Man kennt Dich heute vor allem für Deine Malerei. Warum und wie hast Du Dich dieser Aktivität zugewandt?
Die Fotografie war für mich die ideale Lösung, meine Angst etwas zu vergessen zu überwinden... Dennoch hatte ich ständig das Gefühl, dass mir etwas fehlte. Als ob sich das, was ich sagen wollte, nicht umfassend ausdrücken ließe und in mir ein Gefühl des Unerforschten entstehen ließ. Durch das Zeichnen und später auch das Malen konnte ich meine Träumen, meine Emotionen und meine Ideen auf direktere Weise erforschen und ihre Darstellung wurde einzig und allein durch meine Händen bestimmt. Vor sechs Jahren, als ich den Gefühlsstrudel einer entstehenden Liebe erlebte, begann ich, meinen Liebsten mit der linken Hand, der Hand des Herzens, zu zeichnen. Das war für mich die reinste und direkteste Art, meine Gefühle darzustellen. Er war es schließlich auch, der mich dazu ermutigte, diese Werke mit anderen zu teilen.
Erzähl uns etwas über Deine Inspirationen, über das, was Dich im Alltag und in Deiner Umgebung inspiriert.
Eine Farbe, eine Begegnung, eine Melodie: alles kann mich inspirieren. Zum Malen selbst muss ich mir etwas schaffen, was ich als meine Traumblase bezeichne. Ob im Zug oder in einem Hotel, ich richte mir überall mein kleines, eigenes Universum ein, und zwar mit vielen kleinen Gegenständen, die mir etwas bedeuten - Keramikfische, Schachteln, Muscheln, Stifte, Gedichtbände, Fotos, Figürchen... Wo auch immer ich mich aufhalte, schaffe ich mir diese Umgebung, die mich kreativ werden lässt und mich zum Träumen anregt.
Kooperationen mit Freunden*innen, Modemarken oder Orten... Welcher Stellenwert kommt der Begegnung in Deiner Arbeit zu? Wie wichtig ist es für Dich, Deine Werke mit anderen Kunstdisziplinen in einen Dialog treten zu lassen?
Auch wenn ich zum Malen allein sein muss, so sind für mich Momente der Begegnung, des Beobachtens und Zuhörens unerlässlich, um mich inspirieren zu lassen. Der Austausch schafft die Grundlage für meine Arbeit. Ich finde es faszinierend, meine Bilder auf andere Medien übertragen zu dürfen, als die, die ich sonst verwende, und zu sehen, wie sie sich nicht nur auf Leinwänden oder Papier bewegen, sondern auch an Wänden und Decken entlangwandern, auf Glas tanzen oder ganz nah am Herzen getragen werden können und die Haut derjenigen sanft berühren, die sich dazu entscheiden, sie zu tragen. Sowohl Kleidungsstücke als auch Zimmerwände sind Hüllen, ein Schutz für den Körper und manchmal auch für die Seele. Es macht mich sehr glücklich, wenn ich sie mit den Farben und Träumen, die mir innewohnen, schmücken darf. Das ist eine Form inniger Verbundenheit mit den anderen.
Was hast Du für einen Bezug zu Kleidung?
Wenn ich male, trage ich bewusst keinen Blaumann. Ich kleide mich so, als ginge ich zu einem wichtigen Termin. Eigentlich betrachte ich Kleidungsstücke als eine Art Medium, das mir erlaubt, den wichtigen Moment der Begegnung mit meinem Gemälde bewusst zu erleben. Kleidung ist also Teil meines kreativen Schaffensprozesses. Ein Stoff oder eine Farbe kann eine Erinnerung, eine verschüttete Gefühlsregung hervorrufen... Für mich sind Kleidungsstücke wie Reisen, die man am Körper tragen kann. Sie gleichen gewissermaßen einem Notizbuch voller glücklicher Erinnerungen. Ich habe eine sehr intime Beziehung zu Kleidung.
Wie gestaltete sich der kreative Schaffensprozess im Rahmen Deiner Zusammenarbeit mit Sessùn? Welchen Teil Deines Universums hast Du in diese Capsule-Kollektion einfließen lassen?
Im Allgemeinen waren alle Gespräche mit Emma und dem Sessùn-Team sehr locker, sonnig und fröhlich. Wir haben zusammen Inspirationsquellen, Formen und Kleidungsstücke gefunden, die symbolhaft gleichermaßen für das stehen, was mich ausmacht und was Sessùn charakterisiert. Wir haben diese Kapsel als Zusammenschluss unserer beiden Universen erdacht. Darauf aufbauend habe ich die Motive und Prints für die ausgewählten Modelle erstellt.
Welches Kleidungsstück aus der Capsule-Kollektion gefällt Dir am besten?
Es ist unmöglich, daraus nur ein Stück auszuwählen. Jedes für sich ist unterschiedlich und zusammen wirken sie wunderbar harmonisch. Besonders gut gefallen mir die Jeansjacke mit ihrem Innenfutter im Patchworkstil, die ich gerne umgekrempelt trage, und das luftige, weiße Kleid mit seinen Stickereien, das einer Reise gleicht...
Wenn Du Sessùn in Form eines Gemäldes darstellen müsstest, wie würde dieses aussehen?
Es wäre ein sehr helles Bild, mit mehreren tanzenden Sonnen, die sich umarmen, mit Früchten, in die man am liebsten hineinbeißen würde, mit einem glücklichen Lächeln... Ein Gemälde voller Bewegung!
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