Begegnungen

Cru Atelier

Mittwoch 27 August 2025

Fotokredit: Stéphanie Davilma

Die Brüsseler Architektinnen und Freundinnen Sarah und Nina gründeten Cru Atelier, ein kreatives Labor, in dem Handwerk und Material zu einer Sprache werden. Geprägt von ihrem italo-marokkanischen und künstlerischen Erbe erforschen sie das ästhetische und ökologische Potenzial biobasierter Materialien – Lehm, Kalk, Hanf, Pflanzenfasern – um zeitgenössische, sensible und nachhaltige Formen zu entwerfen.
Als Gewinnerinnen der 3. Ausgabe des Sessùn Craft Prize mit L’Ombre des falaises, la brise de la mer präsentieren sie eine organische und poetische Installation, inspiriert von mediterranen Landschaften und im Einklang mit den Werten der Marke – ab dem 3. September bei den Galeries Lafayette Haussmann in Paris zu entdecken.

Könnt ihr uns von euren jeweiligen Werdegängen erzählen und wie sich eure Wege gekreuzt haben?

Sarah: Ich stamme aus einer italo-marokkanischen Doppel­kultur. Ich bin umgeben von marokkanischem Kunsthandwerk aufgewachsen – Farben, Materialien, Know-how – und zugleich auf der italienischen Seite in einer Kultur von Sonne, Traditionen und einem bestimmten Lebensstil.
Nina: Meine Großmütter haben mir schon sehr früh ihre Sensibilität für Kunst und Zeichnung vermittelt. Danach habe ich an Kunstschulen studiert, bevor ich Sarah an der Architekturfakultät Saint-Luc traf.
Unsere Wege kreuzten sich schließlich an der Fakultät für Architektur in Brüssel, wo wir Freundinnen wurden.

Wie ist Cru Atelier entstanden, und inwiefern spiegelt das Projekt eure persönlichen und beruflichen Erfahrungen und Werte wider?

Cru entstand organisch, parallel zu unseren beruflichen Wegen. Während wir als Architektinnen arbeiteten, erforschte jede von uns bereits alternative Pfade.
Nina hatte ein Atelier zur Wiederverwertung von Holz und Metall gegründet und sich an urbanen Installationen, Szenografien und Bühnenbildern versucht.
Sarah entdeckte biobasierte Materialien bei der Renovierung ihrer Wohnung und experimentierte mit handwerklichen Techniken.
Ganz natürlich entstand der Wunsch, gemeinsam zu schaffen und unsere Kompetenzen zu verbinden. Es begann mit Objekten – einem Hocker – und führte schnell zu einem tieferen Bedürfnis: Handwerk und Material als Sprache zu erforschen, über das Objekt hinauszugehen und Formen zu erschaffen, die Geschichten erzählen.

Ihr arbeitet mit biobasierten Materialien, die oft in Vergessenheit geraten sind. Wie vermittelt ihr dieses alte Wissen und welche Rolle spielt es heute im Design und in der Architektur?

Vermitteln bedeutet, die Gesten lebendig zu halten, die uns berühren – die Handwerke und die Menschen, die uns ihr Wissen weitergegeben haben. Es bedeutet auch, diese Traditionen zu erzählen und lebendig zu halten.
Wir arbeiten mit biobasierten Materialien wie Lehm, Kalk, Hanf und Pflanzenfasern und mit deren Verarbeitungstechniken, die oft vergessen oder zugunsten „moderner“ Materialien wie Beton oder petrochemischer Erzeugnisse verdrängt wurden.
Dabei sind diese natürlichen Materialien reichhaltig, das Spielfeld ist riesig. Sie stehen in Resonanz mit aktuellen Fragen: Sie sind lokal, nachhaltig, gesund und verfügen über erstaunliche akustische und hygro­metrische Eigenschaften. Und oft sind ihre Qualitäten sogar sinnlich!
Durch unsere Projekte teilen wir dieses alte Wissen, laden zum Experimentieren ein und zeigen, dass es in zeitgenössischen Formen neu erfunden werden kann.
Im heutigen Design und in der Architektur bieten sie eine sensible, inspirierende Alternative und stellen zugleich eine menschlichere Beziehung zu Zeit und Material her.

Welche Rolle können – oder sollten – natürliche Materialien im zeitgenössischen Design einnehmen?

Sie sollten eine zentrale Rolle spielen, werden aber noch zu oft nach den Maßstäben industrieller Materialien bewertet – wie Plastik oder Beton – was wenig Sinn ergibt.
Ein Material wie Lehm oder Kalk-Hanf lebt, verändert sich, transformiert sich. Es kann in den Boden zurückkehren, ohne zu verschmutzen. Es eröffnet eine andere Beziehung zum Konsum: langsamer, reflektierter, zirkulärer. Es kann zudem renoviert oder umgestaltet werden, ohne Abfall zu erzeugen – eine der großen Herausforderungen unserer Zeit, wenn man bedenkt, dass laut der Europäischen Umweltagentur (EEA) Bau- und Abbruchabfälle etwas mehr als ein Drittel des gesamten Abfallaufkommens in der EU ausmachen.
Es gilt daher, unsere Art, die Leistungsfähigkeit eines Materials zu bewerten, zu dekonstruieren und eine ganzheitliche Sicht auf dessen Umweltwirkung wiederzugewinnen.

Ihr habt die 3. Ausgabe des Sessùn Craft Prize mit L’Ombre des falaises, la brise de la mer gewonnen. Könnt ihr uns mehr über dieses Projekt erzählen?

Dieses Projekt ist eine Art materialisierte Erzählung. Es spricht von Territorium, von Material und von Gesten.
Es ist eine troglodytische Installation, gedacht als organisches Refugium, inspiriert von den mediterranen Klippen. Wir verwendeten lokale Ressourcen wie Kalk, Hanf, Holz oder Stroh – einfache Materialien, aber reich an Ausdrucks- und Ökopotenzial.
Das Projekt ist visuell komplex, aber im konstruktiven Prinzip bewusst schlicht gehalten. Es inspiriert sich an natürlichen Formen, am Rhythmus der Wellen und an der volkstümlichen Architektur.

Wie sah der kreative Prozess hinter dieser Installation aus – von der Idee bis zur Umsetzung?

Die Wahl des Materials stand schnell fest. Kalk-Hanf erinnerte sowohl an die Welt des Textils – ein Augenzwinkern an Sessùn – als auch an unsere jeweiligen Praktiken.
Wir entwarfen einen organischen, fließenden Grundriss, als Anspielung auf die Landschaften des Südens.
Im Atelier verbrachten wir viel Zeit mit Tests: die richtige Textur, das passende Rezept, den idealen Halt zu finden… Ziel war es, die Anwendung zugänglich und intuitiv zu machen.
Anschließend leiteten wir ein Team (darunter Batik und Sessùn) bei der Umsetzung der Beschichtungen an, in einem kollaborativen und pädagogischen Ansatz. Jede Geste zählte. Es war ein Moment der Weitergabe ebenso wie des Herstellens.

Wie blickt ihr auf die Marke Sessùn und die Initiative des Sessùn Craft Prize?

Es war eine äußerst bereichernde Erfahrung. Sie hat uns ermöglicht, andere Handwerker:innen kennenzulernen, uns auszutauschen und zu teilen – insbesondere mit dem Unternehmen Batik.
Der Austausch mit den Sessùn-Teams war sehr wertvoll: Wir spürten eine echte Offenheit und Neugier für Handwerk und alternative Praktiken.
Der Craft Prize ist eine wunderbare Gelegenheit und eine großartige Initiative für junge Architekt:innen und Designer:innen. Es kann sehr einschüchternd sein, eine Marke zu kontaktieren, um die eigene Arbeit vorzustellen; es ist auch schwierig, Legitimität zu finden, da es so viele talentierte Designer:innen gibt. Sessùn teilt zudem in besonderem Maße unsere ethischen Werte und unsere Welt, und wir sind sehr dankbar, diesen Preis erhalten zu haben.

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