Begegnungen

Lisa Allegra

Freitag 2 September 2022

BILDNACHWEIS: JOSEPHINE LEDDET

Lisa Allegra, die vom Arbeitsmaterial Ton und seinen  vielfältigen Ausprägungen begeistert ist, hat sich ihr Atelier in Barcelona eingerichtet und widmet sich bevorzugt den Themen des Gleichgewichts und der Kontraste. Sie stellt dort Einzelstücke her - Leuchten, Möbel, Objekte, die in einer beschwörenden Poesie mit den Grenzen der Schwerkraft  flirten. Für die Ausstellung „Floraison Créative“ bei Sessùn Alma hat sie 3 große, minimalistische Vasen mit abgerundeten Formen entworfen, deren Oberflächen sie so gestaltet hat, als würden sie Geschichten erzählen. 

Bevor Du Deine eigene Marke gegründet hast, bist Du viel gereist. Inwiefern haben diese Reisen Deine Kreativität gefördert?

2012 bin ich zusammen mit meinem Lebensgefährten fast ein Jahr lang um die Welt gereist: Wir waren in Südostasien, China, Korea, Japan, den USA, Kuba, Brasilien. Diese Reise hat mein Verhältnis zur Zeit und zur Welt verändert. Dieses Gefühl der Freiheit hat einen entscheidenden Einfluss auf die Entscheidungen, die ich später im Rahmen meines Schaffensprozesses, meiner Arbeit und ganz allgemein in meinem Leben getroffen habe.

Warum hast Du Dich dazu entschieden, Dein Atelier in Barcelona einzurichten?

Die Entscheidung dazu kam ganz instinktiv. Ich wollte einen neues Umfeld, einen neuen Alltag, ein anderes Klima kennenlernen und eine neue Sprache lernen. Mir gefällt es in Barcelona. Ich liebe diese Stadt, ihr Kulturangebot, ihre Sprache, die Menschen, die mich umgeben.

Gibt es etwas, das man in Deinem Atelier und nirgendwo sonst finden kann?

In meinem Atelier steht das Sieb, das meine Großmutter zum Sieben von Couscous benutzte. Es gleicht den Sieben, die man auch zum Sieben von Emaille verwendet... aber dieses ist etwas Besonderes.

Welches Verhältnis hast Du zu Ton?

Ich forme daraus große, schwere und beeindruckende Stücke. Dafür arbeite ich nicht nur mit meinen Händen, sondern setze die Kraft meines ganzen Körpers ein. Insofern ist meine Beziehung zu Ton sehr intensiv und vereinnahmend. Ich bin ein hartnäckiger Mensch, der die Arbeit mit Ton wie einen Aufstieg auf einen Berg angehen kann. Ton sieht zwar weich aus, aber für mich ist es ein Material, das viel Kraft sowie physische und mentale Stärke erfordert.

Welchen Einfluss hat Deine Ausbildung zur Designerin heute auf Deinen Beruf als Keramikerin?

Ich bin Designerin. Ich erdenke Objekte, Möbel, Leuchten. Ich zeichne sie, gestalte die Linien, die Proportionen. Die Entscheidung, mit einem bestimmten Material zu arbeiten, ist für mich eher ein Mittel als ein Zweck. Es bietet mir die Möglichkeit, unabhängig zu sein, nicht auf Verleger und Marken angewiesen zu sein, um meine Objekte existieren zu lassen. Es bietet mir die Möglichkeit, alle Produktionsschritte, von der Anfertigung über die Kommunikation bis hin zur Vermarktung, selbst zu bestimmen. Außerdem beobachte ich die Auswirkungen, die die Massenproduktion auf die Umwelt hat, mit Sorge... Die Begegnung mit dem Arbeitsmaterial Ton hat es mir ermöglicht, diesem Bedürfnis nach Autonomie nachzukommen und gleichzeitig an kleinen Auflagen zu arbeiten, bei denen jedes Stück von Hand gefertigt wird. Außerdem hat sich zwischen dem Material und mir noch etwas Tiefergehendes entwickelt, das meiner Arbeit als Designerin eine umfassendere Dimension verleiht: das Know-how. Dieses Etwas, das uns daran erinnert, dass der Entwurf, die Zeichnung mit einem Material verknüpft ist, das man kennen und verstehen muss, um ein sinnvolles Objekt daraus formen zu können.

Was bedeuten für Dich die Themen Kontrast und Gleichgewicht, die in Deiner Arbeit sehr präsent sind?

Die Entwürfe meiner Objekte loten immer die Grenzen aus. Ein hoch aufragendes Stativ, kleine Verbindungspunkte zwischen verschiedenen Elementen, ein schwebendes Kissen... Mein Interesse an diesem Spiel mit Kontrasten und Gleichgewicht findet sich auch in dem Material wieder, mit dem ich arbeite. Ton hat sowohl etwas Kindliches als auch etwas Anspruchsvolles, ist weich oder hart, manchmal auch sehr sorgfältig zu bearbeiten, wenn es sich um ein kleines Objekt handelt, dient aber gleichzeitig auch als Baumaterial. Der Begriff des Gleichgewichts kann auch poetischer ausgedrückt werden: ein Seiltänzer auf seinem Seil, ein Blatt, das vom Wind fortgetragen wird...

Welcher Stellenwert kommt bei Deiner Tätigkeit der kreativen Forschung und dem Experimentieren zu?

Die Suche nach einer bestimmten Form kann für mich ziemlich anstrengend sein. Meine Gedanken drehen sich im Kreis, ich schlafe schlecht, zweifle.... Und dann finde ich plötzlich, was ich gesucht habe: die Richtung, den Sinn, die Zeichnung! Die Schwierigkeiten der Suche werden durch Freude ersetzt. Dann geht es an das Experimentieren mit dem Ton, was ich oft als sehr erholsam empfinde. Trotz aller Erfahrung, überrascht mich das Material immer wieder aufs Neue, sei es durch die Form, den Farbton oder die Glasur, die durch das Brennen in der Abgeschiedenheit des Ofens bei 1280 Grad verewigt werden.

Hast Du ein bestimmtes Ritual, das Deinen Schaffensprozess im Atelier bestimmt?

Wenn ich arbeite, läuft im Hintergrund oft das Radio. Ich höre nicht immer bewusst hin, aber es begleitet meinen Tag und verleiht ihm einen gewissen Rhythmus.

Erzähl uns doch ein bisschen etwas über das Stück, das Du Dir im Rahmen Deines Beitrags für die Ausstellung „Floraison Créative" von Sessùn ausgedacht hast und für den Du absolut freie Hand in der Gestaltung und Umsetzung hattest.

Der Freibrief von Sessùn gleicht einem Geschenk, einer einzigartigen Möglichkeit, von den bekannten Pfaden abzuweichen, um andere und überraschende Räume zu erkunden. Ich habe drei Ausstellungsstücke erdacht, die leeren Seiten gleichen: drei große, minimalistische Vasen mit abgerundeten Formen. Ich wollte die Oberfläche beleben, die Haut der Formen sozusagen. Ich wollte sie durchbohren, sie verzieren, das Zufällige einfließen lassen und mit dem Glanz und der Farbe der Glasur arbeiten. Von dort aus bahnten sich kleine Kieselsteine, wie solche, die man bei einem Spaziergang sammelt, ihren Weg auf das Objekt und schufen Muster, Motive und Geschichten.

Wie kam Dir die Idee zu dieser Kreation?

Sie hat sich nicht spontan ergeben. Vielmehr habe ich sie mir auf Umwegen geholt. Ich wollte aus meinen üblichen kreativen Mechanismen ausbrechen, die man gegen seinen Willen aufbaut, um mich treiben zu lassen und ohne ein konkretes Ziel voranzukommen, nur um zu versuchen, Freude an der Erkundung zu finden. Eine zugleich gefährliche und lustvolle Übung, die neue Richtungen eröffnet und den Beginn einer neuen Ausrichtung markiert.

Was nimmst Du aus der Erfahrung dieser freien Auftragsarbeit mit?

Sie bot mir die Möglichkeit, mich neu zu finden. Eine Gelegenheit, etwas Neues zu wagen. Ich warte schon ungeduldig auf eine Fortsetzung... Aber auch den Moment der Begegnung und des Austauschs mit den anderen Projektteilnehmerinnen (Léa Bigot, Julie Boucherat, Marion Graux, Suzie Le Pennec, Emmanuelle Roule), d. h. die kollektive und festliche Dimension dieses einzigartigen Projekts!

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