Photographies : Stéphanie Davilma
In ihrem Atelier im Dörfchen Saint-Victor-la-Coste in der Provence verleiht Lena Morelli alten Sitzmöbeln, die sie auf Flohmärkten oder in Antiquitätenläden aufstöbert, ein neues Outfit. Durch ihre Neuinterpretation der traditionellen Technik des Webens mit dänischer Papierschnur, schafft sie atypische, moderne und vor allem ganz einzigartige Kreationen. Für Sessùn arbeitet sie derzeit an einem großformatigen Wandpaneel, das im kommenden Herbst bewundert werden kann und eine neue Etappe in ihrem kreativen Schaffensprozess einleitet.
Wie sieht Dein Werdegang aus?
Ich bin in der Provence inmitten von Weinbergen aufgewachsen, wo ich meine große Sensibilität entwickelt habe und meinen Beobachtungssinn schulen konnte. Nach dem Abitur habe ich einige Jahre im Bauingenieurwesen gearbeitet und mich insbesondere mit der Wiederverwendung von Materialien in den Bereichen Architektur und Design beschäftigt. Sehr schnell aber habe ich das Bedürfnis verspürt, selbst etwas zu schaffen, mit den Händen zu arbeiten und so nah wie möglich am Material zu sein. So habe ich an der Pariser Ecole Boulle mehrere Abendkurse im Polstern belegt, bevor ich in den Süden, in das wunderschöne Dorf Uzès, gezogen bin, wo ich meine Ausbildung zur Polsterin absolvierte. Parallel dazu experimentierte ich mit verschiedenen Techniken, Fertigkeiten und Materialien... Meine Webtechnik ergab sich, als ich irgendwann dänisches Seil kaufte und versuchte, es für die Restaurierung eines alten Stuhls zu verwenden. Meine Technik entstand somit eher zufällig aus einer Neuinterpretation der traditionellen Arbeit mit dänischem Seil. Heute stelle ich atypische, moderne und einzigartige Webarbeiten her.
Was hat Dich an dieser Handwerkstechnik gereizt?
Die Freiheit des Kreierens. Bereits bevor ich selbst mit diesem Seil zu arbeiten begann, faszinierte mich die Schönheit der Sitzpolster, die man mit dieser Technik schaffen kann, und die Tatsache, dass das Seil aus Papier besteht. In der allgemeinen Vorstellung gilt Papier ja als eher empfindliches Material. Dabei handelt es sich um ein sehr robustes Seil, das bereits seit den 1940-er Jahren von skandinavischen Designern für die Herstellung von langlebigen Möbeln verwendet wird. Als ich anfing, mit diesem Material zu arbeiten, wurde mir schnell bewusst, welche kreativen Freiheiten es bei der Gestaltung von Mustern und der Wahl der Webstrukturen bietet. Ich selbst wende diese Technik ausschließlich auf Sitzmöbel an, wobei sie eigentlich noch viel mehr Möglichkeiten bietet! Das Ergebnis fasziniert mich immer wieder aufs Neue: Die Webtechnik ermöglicht es, ein Relief und eine Textur zu schaffen, außerdem fängt sie das Licht je nach Verarbeitungsrichtung der Schnüre unterschiedlich ein und erzeugt so ein Spiel von Licht und Farbtönen...
Würdest Du uns verraten, wo sich Dein Atelier befindet und wie es aussieht?
Mein Atelier ist ein alter Dachboden, den wir selbst ausgebaut haben. Es liegt inmitten des Ortes, in dem ich wohne, in Saint-Victor-la-Coste. Der von mir erdachte Raum ähnelt in gewisser Weise mir selbst. Man betritt ihn über eine alte Holztreppe, die meine Sammlung mediterraner Keramiken beherbergt und deren weiße Wände nach traditioneller Methode gekalkt wurden. Oben trennt ein altes, antiquarisches Glasdach den Showroom vom Atelierbereich ab. Eine große Backsteinmauer, die ich komplett freigelegt und dann weiß gestrichen habe, verleiht dem Raum Charakter. An einem Teil der Wand hängt eine von meinem Vater angefertigte Metallskulptur, die Eva nach einer Zeichnung von Cocteau verkörpert. Der Bodenbelag besteht aus rohem Beton. Ich nenne ihn Frankenstein, weil er aus verschiedenen Teilen besteht, manche älter manche neuer, mal glatt, dann wieder körnig und gesprenkelt, mit unterschiedlichen Farbtönen, die ein fröhliches Patchwork ergeben... Ich versuche, mein Atelier klar und minimalistisch zu gestalten. Es ist größtenteils in Weiß gehalten, so dass ich konzentriert arbeiten und kreativ bleiben kann.
Du hast Dich entschieden, mit Vintage-Möbeln zu arbeiten, denen Du neues Leben einhauchst. Was bedeutet das für Dich?
Da ich aus dem Bereich der nachhaltigen Entwicklung komme, war es für mich sehr wichtig, Stücke zu entwerfen, die sich durch ein langlebiges Design auszeichnen. Ich war schon als Kind gerne auf Flohmärkten unterwegs, weshalb es für mich absolut klar war, mit bestehenden Sitzmöbeln, also Vintagestücken, zu arbeiten, die ich vor dem Weben sammle und restauriere. Sie sind interessanter, weil sie eine Seele haben, eine Geschichte, die man an der Farbe des Holzes und den Spuren der Zeit erkennen kann. Besonders gerne arbeite ich mit Stücken, die vernachlässigt oder vergessen wurden oder beschädigt sind... Da stellt sich auch die Frage nach der Begehrlichkeit eines Objekts, denn allein die Tatsache, dass man sich die Zeit nimmt, ein Stück neu aufzubereiten, verleiht ihm einen ganz neuen Status.
Wo findest Du die Sitzmöbel, die Dir als Grundlage für Deine Arbeit dienen, und wie wählst Du die Materialien aus, die Du zum Weben verwendest?
Ich durchstöbere vor allem das Angebot der Floh- und Antiquitätenmärkte in meiner Umgebung sowie den Flohmarkt Puces du Canal in Lyon. Mit der Zeit habe ich mir auch ein Netzwerk von Antiquitätenhändlern aufgebaut, mit denen ich zusammenarbeite. Was die Materialien betrifft, so verwende ich für meine Stücke heute ausschließlich dänisches Seil. Aber derzeit verspüre ich vermehrt den Wunsch, auch mit anderen Materialien zu arbeiten. Gerade experimentiere ich mit Jute-, Hanf-, Leinen- und Sisalfasern. Dabei ist Natürlichkeit für mich die einzige Bedingung sine qua non.
Wie wählst Du die Designs für deine Sitzmöbel aus? Woher nimmst Du Deine Inspirationen?
Ich habe nicht immer eine genaue Vorstellung von dem Muster, das ich weben will. Das Weben ist ein sehr intuitiver Prozess, meine Hände werden von dem Material geleitet und gehen mit diesem, mit seiner Struktur, einen Dialog ein. Zeichnungen dienen mir dabei oftmals als Grundlage für die Suche. Durch das Weben selbst kann ich dann bekräftigen, was ich auszudrücken versuche.
Meine Suche folgt dabei traditionellen Web- und Korbflechttechniken und ist stark von skandinavischen, japanischen und mediterranen Einflüssen geprägt. Ich forme meinen Blick ständig und lasse mich stark von der Welt der Architektur, insbesondere von der Architektur traditioneller japanische Häuser, inspirieren. Obwohl ich noch nie in Japan war, bin ich fasziniert von der Einfachheit, Zartheit und Harmonie, die seine Architektur und sein Handwerk ausstrahlen.
Würdest Du uns verraten, welche Künstler und Werke Dich momentan am meisten begeistern?
Da gibt es eine ganze Menge... Ich würde sagen die junge belgische Malerin Eleanor Herbosch, deren Tonarbeiten einfach wunderschön sind; die Keramiken des Japaners Kazuhiro Katase mit ihrer krakeligen Textur; die rohen und natürlichen Webarbeiten von Adriana Meunié; die Reisstroh-Arbeiten der japanischen Künstlerin Arko; die abstrakten Landschaften der Malerin Nina Rety, die ich kürzlich kennenlernen durfte, und schließlich die zarten Holzskulpturen von Victor Giannotta aka Sepa.
Hast Du bei der Arbeit irgendeine Angewohnheit oder Eigenart?
Ich arbeite barfuß.
Du arbeitest gerade an einem gewebten Wandpaneel für Sessùn: Gefällt Dir die Vorstellung, den Bereich der Sitzmöbel zu verlassen und daraus etwas anderes zu entwickeln?
Dieser Auftrag bringt viel frischen Wind in meine Arbeit. Das Weben eines Wandpaneels ist eine Herausforderung für mich, weil ich es nicht gewohnt bin, so große Formate (200 x 100 cm) anzufertigen. Um ehrlich zu sein, habe ich aber schon lange auf ein Projekt dieser Art gewartet. Ich bin Sessùn deshalb sehr dankbar, mir diesen Freiraum verschafft zu haben.
Hast Du irgendwelche Projekte für die Zukunft, die Du gerne mit uns teilen würdest?
Ich werde diesen Sommer eine zweite Capsule-Kollektion zusammen mit Trophée Macocotte, der Galerie, die mich vertritt, herausbringen. Ich freue mich sehr darauf, da wir seit mehreren Monaten an diesem Projekt arbeiten! Außerdem steht in diesem Herbst eine Ausstellung in Berlin an, zu der ich im Moment aber noch nicht viel sagen kann! Und schließlich der immer größer werdende Wunsch, Möbel in kleinen Serien herauszubringen, einzigartige Objekte, die in Zusammenarbeit mit anderen Kunsthandwerkern entstehen.