Begegnungen

Lou Chapuis

Montag 16 Dezember 2024

Photographies : STÉPHANIE DAVILMA

Der aus Lyon stammenden Lou Chapuis wurde eine bunte und authentische, von ihren französisch-vietnamesischen Wurzeln inspirierte Küche in die Wiege gelegt. Nachdem sie mehrere Jahre in Paris in der Werbebranche gearbeitet hatte, entschied sie sich, ihre Kochleidenschaft zum Beruf zu machen und ging einen mutigen Weg, der sie von Mexiko nach Marseille führte. Als Wanderköchin zieht Lou heute von einem Ort zum anderen und präsentiert im Rahmen verschiedenster Küchenresidenzen ihre kulinarischen Fähigkeiten, wobei sie lokale Besonderheiten stets kreativ hervorhebt und ihre besonderen Vorliebe für asiatische Aromen und saisonale Produkte in den Mittelpunkt ihrer Kreationen stellt. 

In diesem Winter lockt sie bei Sessùn Alma in Marseille mit einer warmen, einladenden und ehrlichen Küche, in der Brühen und frische Kräuter eine zentrale Rolle spielen.

Würdest Du uns etwas mehr über Deinen Werdegang erzählen? Von der Kommunikation zum Kochen ist es schließlich ein großer Schritt! Was hat Dich dazu bewogen, Deine Karriere in Paris an den Nagel zu hängen und Dich 2020 in das kulinarische Abenteuer zu stürzen?

Ich bin in Lyon aufgewachsen und war mit dieser Stadt 20 Jahre lang fest verwurzelt, bevor ich dann in die weite Welt gezogen bin. Meine erste Arbeitsstelle habe ich in Paris in einer Werbeagentur angetreten, aber gekocht habe ich schon immer gerne. Das Kochen ist ein Teil meines Lebens und begleitet mich, seit ich denken kann. Dennoch habe ich anfangs bewusst entschieden, es nicht zu meinem Beruf zu machen.  Als ich in meinem Job in Paris jedoch nicht so recht weiterkam, sehnte ich mich nach etwas Neuem und Intensivem. So kündigte ich kurzerhand und ging, ohne einen konkreten Plan zu haben, nach Mexiko. Dann kam Corona und so bin ich erstmal eine Zeit lang dort geblieben.
Ich wollte etwas komplett anderes machen und das Kochen erschien mir der aufrichtigste und natürlichste Weg zu sein, der sich mir bot und den ich einschlagen konnte.
Ich habe mich bewusst gegen eine klassische Kochausbildung entschieden, weil ich Angst hatte, meine Zeit damit zu verschwenden und eine Küche zu erlernen, die zu weit von der entfernt ist, die ich so liebe. Ich weiß nicht, ob das die richtige Entscheidung war, wahrscheinlich werde ich immer das Gefühl haben, nicht genug zu wissen, doch genau das treibt mich auch dazu an, selbst nach Lösungen zu suchen.

Deine Küche ist geprägt von einer Kombination aus französischen und vietnamesischen Einflüssen. Wie wirken Deine Herkunft und Dein Familienerbe auf Deine Kreationen ein?

Meine Herkunft ist sehr präsent. Ich bin mit Gerichten aufgewachsen, die sich durch ihre besondere Mischung auszeichneten. Es war keine traditionelle vietnamesische Küche, sondern eine Küche mit einer breiten kulinarischen Vielfalt. Heute findet sich in meinen Gerichten auf die eine oder andere Weise immer ein Verweis auf Asien. Speziell in Bezug auf Vietnam versuche ich, viel von der typischen Frische mit zahlreichen Kräutern und dem Spiel mit Texturen zu erreichen. Auch Chili und Nuoc-Mâm dürfen in meinen Gerichten nicht fehlen

Als Wanderköchin ziehst Du von einer Küchenresidenz zur nächsten. Was hältst Du von diesem sich immer weiter verbreitenden Phänomen?

Ich denke, dass es für alle Köch*innen etwas Befreiendes hat, ihre Küchen verlassen und neue kulinarische Welten erkunden zu können. Ich bin heute sehr dankbar dafür und schätze mich glücklich, so viele verschiedene Erfahrungen sammeln zu dürfen. Da ich nicht sagen kann, wie lange das noch so weitergeht, genieße ich diese Erfahrungen in vollen Zügen. Nichtsdestotrotz ist es natürlich auch ein unvollkommenes und begrenztes Format. Schließlich entwickelt sich jede besondere Küche erst im Laufe der Zeit und durch den täglichen Austausch, sowohl mit den Lieferanten als auch mit den Produkten oder den Menschen, mit denen man zusammenarbeitet. Es ist Teamarbeit. Und um etwas Kohärentes aufzubauen, braucht es Zeit. Ich denke, dass es ein Modell ist, das seine Vor- und Nachteile hat und das es verdient, zu existieren, das aber mehr strukturiert werden muss, damit alle Beteiligten gut arbeiten und ihren Nutzen davon tragen können.

Im Sommer hast Du zusammen mit Studio Baïta in Arles eine temporäre Snackbar eröffnet. Welche Rolle spielt Streetfood in Deinem kulinarischen Ansatz?

Ich beschäftige mich hin und wieder ganz gerne damit. Wir haben ja auch im Idéal viele Sandwiches zubereitet und die Umsetzungsmöglichkeiten sind sehr vielfältig.
Der Ansatz ist zwangloser, natürlicher und in erster Linie auf den schnellen Genuss ausgerichtet. Es ist einfacher und bodenständiger als Fine Dining, obwohl die Angebote heutzutage immer raffinierter werden, und das ist gut so! Ich fühle mich noch nicht in einer Identität verankert und es macht mir Spaß, unterschiedliche Dinge auszuprobieren, Street Food ist ein Teil davon, genau wie die verschiedenen Küchenresidenzen, in denen ich arbeite.

Was ist bislang Deine schönste Erinnerung an das Kochen? Ein Gericht, eine Begegnung oder ein prägender Moment?

Das klingt ein bisschen abgedroschen, aber Kochen ist gleichbedeutend mit Begegnungen. Und genau aus diesem Grund übe ich diesen Beruf aus. Es geht darum, Menschen zu versammeln, Begegnungen zu schaffen und den Austausch zu fördern, es geht ums Teilen. Die sozialen Netzwerke tragen zu einer Intensivierung des Wettbewerbs bei, für mich muss die Küche den Körper nähren und das Wohlbefinden steigern.  Ich glaube, meine Leidenschaft für das Kochen entwickelte sich durch besondere Momente in der Familie und festigte sich durch ein Kochpraktikum, das ich im Alter von sieben Jahren im Restaurant von Sonia Ezgulian absolvierte. Die echte berufliche Wende ergab sich für mich dann hier in Marseille, als mir Julia Sammut die Verantwortung für ihr Restaurant überließ, obwohl ich nur ein Jahr Erfahrung hatte. Das ist ein Ausdruck von Verbundenheit und Wohlwollen, der von Frauen kommt, die eine innige Leidenschaft für das Kochen, für hochwertige Produkte, für Verkostung und das Teilen empfinden.

Was hat Dich dazu bewogen, Dich in Marseille niederzulassen, und welchen Einfluss hat die Stadt auf Deine kulinarische Identität und Deine kreativen Projekte? Inwiefern passt diese Verbindung mit Marseille zum Geist und den Werten von Sessùn?

Ich bin vor vier Jahren nach Marseille gezogen, weil ich auf der Suche nach Herausforderungen war. Meine Erwartung wurde keineswegs enttäuscht und alles in meinem Leben dort hat sich sehr schnell und perfekt gefügt.
Marseille kommt einem Inkubator gleich, es gibt hier so viele inspirierende Menschen, die ihre Projekte allein tragen. Ich glaube, dass 80% der Leute aus meinem Umfeld selbstständig tätig sind. Ein Großteil davon sind übrigens Frauen.
In Marseille ist das einfacher als anderswo möglich, die Stadt ist finanziell erschwinglicher und bei Weitem nicht so überwältigend und erschlagend wie Paris, sie lässt mehr Raum für Unvollkommenes, es gibt etwas weniger Hürden zu bewältigen und etwas weniger Konkurrenz... Das macht den Leuten Mut und sie versuchen ihr Glück! Man verdient natürlich auch weniger, das ist klar, aber dafür haben wir das Meer! Für mich sind die Werte von Sessùn untrennbar mit dem Handwerk und mit rohen, natürlichen Materialien verbunden. Auch in meiner Küche kommt der Qualität der Produkte ein zentraler Stellenwert zu, davon hängt alles ab. Ich arbeite ausschließlich mit engagierten Produzenten zusammen.

Wie stellst Du sicher, dass Du bei Deinen kulinarischen Kreationen auf saisonale und lokale Produkte setzen kannst?

Ich setze dies immer als Ausgangspunkt an. Das ist auch das Schwierige an Küchenresidenzen in fremden Städten oder Ländern, da man sich dort erst mit den lokalen Produkten vertraut machen muss. Davon hängt alles ab.
Darüber hinaus gibt es einige Elemente, die das Grundgerüst meiner Küche bilden und die sich unabhängig von Ort und Jahreszeit immer in meinen Gerichten wiederfinden. Diese Kombination aus meinen Grundlagen und den verfügbaren Produkten dient mir also sozusagen als Rahmen für die Erstellung meiner Menüs. Diesmal habe ich den Vorteil, in vertrauter Umgebung zu kochen und mit Produzenten zusammenzuarbeiten, die ich schon kenne.

Welche Art von Küche möchtest Du im Rahmen Deines Gastaufenthalts bei Sessùn Alma in Marseille in den Vordergrund stellen?

Wir nähern uns dem Winter, deshalb möchte ich mich auf Brühen konzentrieren und eine wärmende Küche anbieten, bei der die frische Note dennoch nicht zu kurz kommt.
Ich komme gerade von einer Reise nach Korea zurück, der Schwerpunkt wird „zur Abwechslung“ also mal auf der asiatischen Küche liegen! Vor allem aber möchte ich eine faire Küche anbieten mit etwas einfacheren, aber ehrlichen Gerichten, und meine Gewürze hervorheben - dieses Ziel habe ich mir für diese Küchenresidenz gesetzt.
Und natürlich werden viele Kräuter und Ravioli, ja viele Ravioli, mit von der Partie sein,

Was sind Deine zukünftigen Projekte? Wo kann man Deine nächsten Küchenresidenzen oder Kreationen entdecken?

Mein Terminkalender für 2025 steht im Moment noch nicht fest. Ich weiß nur, dass ich Marseille während meines Gastaufenthalts bei Sessùn Alma in vollen Zügen genießen werde, weil ich die Stadt im kommenden Jahr wahrscheinlich nicht viel zu Gesicht bekommen werde.

Was verbindest Du mit Sessùn und Sessùn Alma als Marke und Ort?

Für mich werten Sessùn & Sessùn Alma das handwerkliche Können auf, indem sie gezielt auf rohe, natürliche und sonnige Materialien setzen. Ich denke, dass dieser Ort Köch*innen und Künstler*innen die Möglichkeit bietet, sich in einem wohlwollenden, gesunden Umfeld auszudrücken. Ich freue mich sehr darauf, mehrere Monate in dieser Umgebung zu arbeiten, die zudem mit Lieferanten kooperiert, die ich bereits kenne, und denke, dass mir mein Gastaufenthalt bei Sessùn Alma ermöglichen wird, intensiver in meine Arbeit und meine Identität einzutauchen.

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